Die Vorgeschichte:
Üblicherweise vereinbare ich mit meinen Klienten telefonisch einen Termin zum kostenfreien Informationsgespräch von 30 Minuten. Dann können die Klienten ganz frei und gelöst entscheiden, ob Sie bei mir ihre Therapie beginnen möchten. Im Laufe einer psychotherapeutischen Behandlung kann es sich dann ergeben, dass ich meine mindwind-Raidho Therapie mit einbeziehe. Dies bedeutet, dass ich fühle, wann der Moment der Entscheidung fällt, das Setting in der Praxis zu verändern indem das Pferd mit einbezogen wird. Meine Klienten wissen oftmals nichts von meinem Angebot der Raidho Arbeit mit Pferden. Auf der anderen Seite gibt es Klienten die speziell über meine zweite Website zum Coaching mit Pferden auf mich aufmerksam werden und beispielsweise den Kompass Tag bei mir buchen.
Mit dem Fallbeispiel von Franziska und Stephan möchte ich eine interessante Dynamik vorstellen, die aufzeigt, wie flexibel eine Therapie bzw. ein Coaching sich ergeben kann.
Stephan hatte sich ein paar Tage zuvor bei mir telefonisch gemeldet und um ein Informationsgespräch für sich und seine Ehefrau Franziska gebeten, um eine Paartherapie bei mir zu machen. Er war über das Internet auf meine psychotherapeutische Praxis nach dem Heilpraktiker Gesetz auf mich aufmerksam geworden.
Das Ehepaar kam eine Woche nach dem ersten telefonischen Kontakt zu ihrem Informationsgespräch an einem Freitagmittag in meine Praxis. Stephan übernahm sofort das Wort und sagte er möchte es direkt auf den Punkt bringen. Seine Frau Franziska (38) erfolgreiche Notarin und er (37) selbständiger Diplom Informatiker wünschen sich seit 3 Jahren erfolglos ein Kind. Dabei geht Stephan sofort in die Offensive und erklärt im Gespräch, dass er das Gefühl nun hätte, das Franziska eigentlich gar kein Kind haben möchte. Stephan hat das Gefühl, dass Franziska lieber weiter als Notarin arbeiten möchte ohne ihre Karriere aufzugeben. Die Ehe stände kurz vor dem Scheitern, da es immer schon so geplant war, dass spätestens ab Mitte Dreißig Kinder zur Ehe gehören. Franziska und er haben sich bereits mit Anfang 20, als Studenten kennengelernt und sind seit 10 Jahren verheiratet. Stephan erklärt weiter, dass sie finanziell keinerlei Sorgen haben. Er hat ein großes Projekt vor einigen Jahren verkauft und sehr viel Geld dafür bekommen. Er ist weiterhin mit seiner neuen Firma erfolgreich. Sie wohnen im eigenen Haus, welches sie, speziell auf die Bedürfnisse mit mindestens zwei Kindern ausgerichtet, vor 8 Jahren gebaut haben. Franziska schweigt, während Stephan redet und wirkt sehr niedergeschlagen. Stephan kann deutlich aussprechen, dass er sehr wütend ist und sich betrogen fühlt, weil Franziska die Abmachungen nicht einhält. Er betont ausdrücklich, er würde sie lieben, aber er zweifelt nun an der Liebe von Franziska zu ihm.
Jetzt wurde mir klar, warum kurz bevor Franziska und Stephan zum Termin kamen, die beiden nachfolgenden Klienten kurzfristig ihre Termine absagten. Es war genau der Zeitpunkt, um spontan zu handeln. Daher fragte ich, bevor ich in irgendeiner Weise Fragen zur Situation stellte, ob Franziska und Stephan bereit wären sofort mit mir zu arbeiten, da die folgenden Termine verschoben wurden. Ich schaute aus dem Fenster und sagte den Beiden, dass wir aber nicht in der Praxis bleiben, sondern zu meinem Pferd in den Stall fahren. Die Verwunderung von Franziska und Stephan konnte ich spüren und Franziska wachte sofort aus ihrer Gedankenhypnose auf und sagte deutlich und laut: JA, sehr gerne, bevor Stephan reagieren konnte.
Therapiehund Timmy spürt immer sofort diese Energie, wedelte mit dem Schwanz und lief zur Tür. Es ist sein eindeutiges Zeichen, dass er bereit ist für einen Einsatz. So machten wir uns mit beiden Autos auf den 15minütigen Weg zu meinem Offenstall.
Am Stall:
Während ich meinen Freund, den 550kg Therapeuten, von der Weide hole, beobachtete ich aus der Ferne was Franziska und Stephan machen. Franziska steht am Reitplatz und beobachtet die Herde auf der Weide. Die ersten Pferde nehmen sie bereits wahr und bewegen sich in ihre Richtung zum Unterstand und zur Heuraufe. Stephan steht am Auto, raucht eine Zigarette und schaut dabei in die Luft und in die Weite zu den Feldern. Ich führe Capitano auf den Reitplatz, binde ihn kurz an und prüfe ob alles ok bei ihm ist und erzähle ihm von Stephan und Franziska. Franziska kommt sofort zu mir und nimmt mit Capitano Kontakt auf. Stephan steht weiterhin an seinem Auto. Ich hole Timmy, meinen empathischen König, den 3,8kg Therapeuten, aus dem Auto und leine ihn an. Stephan beobachtet jetzt alles. Ich bitte Stephan und Franziska nun mit mir zu Timmy und Capitano auf den Reitplatz zu kommen. Ich gebe spontan Stephan Timmy an der Leine in die Hand. Bei Franziska muss ich gar nichts weiter machen, sie nimmt automatisch den von mir angebotenen Führstrick von Capitano. Ich sage beiden, dass wir vom Reitplatz, auf die eingezäunte große Weide und mit beiden Vierbeinern spazieren, gehen. Es besteht die Möglichkeit von der Weide in den Wald zu spazieren. Capitano lässt sich sofort von Franziska führen, er geht sanft und locker Schulter an Schulter mit Franziska. Ich kann sehen und fühlen, dass Franziska nicht zum ersten Mal ein Pferd führt. Ihre Bewegung ist klar, entspannt, aufgerichtet und gelöst. Timmy an der Hand von Stephan springt und hüpft durch die Gegend an der langen Leine und nimmt Stephan überhaupt nicht wahr. Stephan hat einen hilflosen, unsicheren Ausdruck und versucht mit Timmy weit weg von Capitano und Franziska zu sein. Ich sage Stephan, dass er Timmy gerne von der Leine nehmen kann, gebe ihm einen Fußball und Timmy reagiert sofort, denn er liebt Fußballspielen. Er rennt mit dem Ball herum und spielt Stephan an. Timmy spielt hervorragend Fußball seit ich es ihm als Welpe beigebracht habe.
Nach ca. 50 Metern auf der Weide bleibt Capitano plötzlich stehen und ich kann sehen, dass Franziska Tränen in den Augen hat. Ich drehe mich um und sehe, dass Stephan mit Timmy vor dem Tipi Zelt an der Feuerstelle steht und ebenfalls mit den Tränen kämpft, während Timmy ihm immer wieder mit seiner Nase den Ball vor die Füße spielt und laut bellt, damit Stephan zurück schießt.
Jetzt ist es für mich wichtig mit beiden gleichzeitig zu arbeiten. Ich zeige Franziska, wo Stephan stehengeblieben ist und sie führt unter Tränen Capitano zur Feuerstelle. Sie schauen sich beide in die Augen und sehen, dass der Partner weint. Ich frage Franziska, was sie fühlt. Franziska erzählt sofort, dass sie Pferde so sehr liebt und als Kind ein eigenes Pferd von den Eltern bekommen hat. Zunächst eine Reitbeteiligung und dann konnte sie das Pony kaufen. Sie erzählt weiter, dass sie mit Capitano an ihrer Seite dieses Glück gerade wieder fühlte und dann kam der Schmerz des Verlustes hoch. In dem Moment blieb Capitano stehen. Franziska erzählt unter Tränen, dass ihre Eltern ihr Pony verkauft haben, als Strafe wegen schlechter Schulnoten, Partys und einem ersten Freund, den die Eltern nicht mochten. Sie liebte ihr Pony und war jeden Tag bei ihm, doch es gab kein Zurück. Das Pony war einfach nicht mehr da, als sie an einem Tag in den Stall fuhr. Dann wollte Franziska nicht mehr essen und magerte sehr stark ab. Sie stürzte sich in die schulischen Leistungen und machte ein Abitur mit einer Durchschnittsnote von 1,1. Ihr Studium absolvierte sie mit Bestnoten in Rekordzeit weiter unter der Regelstudienzeit. Sie schaut Stephan dann unsicher an, denn obwohl die beiden schon so lange zusammen sind, hat sie diese Geschichte ihres Lebens noch nie Stephan erzählt. Capitano steht dabei ganz ruhig an Franziska und gibt ihr Halt beim Erzählen, in dem sie sich an ihn lehnen darf.
Timmy hat sich ins Gras neben Stephan gelegt, ganz nah an seinen rechten Fuß. Stephan setzt sich ebenfalls ins Gras und sagt zu uns, dass er gerade nicht mehr stehen möchte. Er legt seine Hand auf Timmy und streichelt sein Fell. Er beginnt mit den Worten: "Liebe Franziska, ich erzähle dir jetzt etwas über mich, was ich noch nie jemandem erzählt habe".
Als er zwei Jahre alt war wurde sein kleiner Bruder Ralph geboren. Ralph starb im Alter von 5 Monaten am plötzlichen Kindstod. Stephan gibt sich die Schuld an dem Tod, obwohl er heute aus dem Verstand heraus weiß, dass er es nicht getan hat. Doch damals hatte er Tage vor dem Tod mit dem Kleinen gespielt, ihn zugedeckt im Bettchen und "großer Bruder" Aufpasser gespielt. Mit dem plötzlichen Tod des kleinen Bruders war für Stephan klar, dass er durch das Zudecken, aus seiner Hand, gestorben ist. Seine Mutter war danach Wochenlang nicht für ihn da, da sie in eine Klinik gekommen ist. Stephan erzählt weiter, dass mit Timmy an der Leine, er sich selbst gesehen hat, weil seine Eltern so ein Geschirr für ihn hatten um Laufen zu lernen und er sich so darauf gefreut hatte, ohne Laufgeschirr mit seinem kleinen Bruder rumtoben zu können. Als Timmy dann anfing mit ihm Fußball zu spielen, sah er sich und seinen kleinen Bruder spielen. Er fühlte den unglaublichen Schmerz und die Trauer, dass dies nie geschehen konnte und fühlte seine tiefsitzende Schuld. Stephan blieb ein Einzelkind.
Erste Bewusstwerdung:
Ich möchte an dieser Stelle das Fallbeispiel Kompass Tag abkürzen. Insgesamt habe ich mit Franziska und Stephan an diesem Tag 3 Stunden gearbeitet. Tiere haben die Fähigkeit, den "Kern" einer tiefsitzenden Blockade eines Menschen direkt zu erfassen. Eine dem Menschen selbst unbewusst gewordene Lebensenergie aufzudecken und der Wahrheit ins Auge zu schauen. Der Mensch kann sich vor Pferd und Hund nicht verstecken. In dieser Situation haben Capitano und Timmy dafür gesorgt, dass Franziska und Stephan ermutigt wurden, die Ursache hinter ihrem momentanen Lebensthema herauszufinden.
Franziska konnte an dem Tag fühlen, dass sie wirklich Angst vor der Verantwortung mit einem Kind hatte. Sie fühlte die Angst, dass sie es auf irgendeine Weise verlieren könnte. Die Arbeit als Notarin fühlte sich dagegen wie eine Sicherheit an. Mit Leistung etwas zu erreichen, was Anerkennung gibt und was mit Diplomen an der Wand nicht mehr genommen werden kann.
Stephan war so erleichtert, dass er "sein größtes Geheimnis" Franziska nach so vielen Jahren endlich erzählen konnte. Es wurde für ihn ganz deutlich, dass er sehr große Angst vor der Verantwortung mit einem Kind hat.
Die Verflechtungen der traumatischen Erlebnisse der beiden Partner und die daraus resultierenden Blockaden der Lebensenergie von Franziska und Stephan, führten somit zu der derzeitigen Situation, warum die Beiden Hilfe in der Paartherapie suchten.
Ohne meine beiden Vierbeinigen Therapeuten, da bin ich mir sicher, wären wir im ersten Schritt nicht so schnell auf den Kern des Problems aufmerksam geworden. Aktuell arbeite ich mit beiden in Einzel- und Paartherapie, zur Auflösung von Ängsten, Wut und Schuldgefühlen und mit Traumatherapie. Die psychotherapeutischen Sitzungen mit diversen Methoden (z.B. analytische Hypnose, Körperpsychotherapie, Kreativtherapie) finden in der Praxis sowie der Dynamik des Prozesses angepasst, am Stall statt. Unter anderem habe ich mit beiden eine Aufstellung mit Pferden (mit der ganzen Herde) gemacht, jeweils zu den Situationen in der Ursprungsfamilie. Die Therapie wird fortgesetzt.
Fürsorge: Es ist für mich selbstverständlich, dass ich nach den Sitzungen mit Klienten, immer mit Capitano und Timmy spiele. Ich achte genau darauf, welches Bedürfnis vorhanden ist.